Die interdisziplinäre Erinnerungskulturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine Fülle von Medien des kollektiven Gedächtnisses beschrieben, wobei das Medium "Musik" bislang kaum Beachtung fand. Diese Lücke versucht die vorliegende Arbeit zu schließen, indem sie das von der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Astrid Erll entwickelte kultursemiotische Modell von kollektivem Gedächtnis und Erinnerungskulturen auf Musik bzw. Musikkultur anwendet. Der Autor geht dabei von der These aus, dass musikalische ebenso wie erinnerungskulturelle Prozesse in analoger Weise nach dem Prinzip "Sinnbildung über Zeiterfahrung"(Jörn Rüsen) ablaufen und entsprechend Musik v. a. dann als ein Medium des kollektiven Gedächtnisses aufgefasst werden kann, wenn sie als künstlerisch hörbar gemachter kultureller Erinnerungsprozess inszeniert wird. Genau dies ist z. B. in zwei Kompositionen der Fall, denen in der Arbeit je eine umfangreiche Fallstudie gewidmet ist: Im Synagogaloratorium "Avodath Hakodesh" von Ernest Bloch erscheint Musik als Medium einer mythisch-rituellen (Gegen-)Gedächtnisbildung jüdischer Musik- und Erinnerungskultur; in der dritten Sinfonie "Kaddish" von Leonard Bernstein wird Musik zum expliziten Medium inner- und außermusikalischer kollektiver Gedächtnisreflexion erhoben. Ausgehend von dem in der theoretischen Grundlegung identifizierten und den Fallstudien exemplifizierten Wirkungspotential von Musik als Medium kollektiver Gedächtnisbildung und -reflexion wird abschließend der unterrichtsdidaktische Vorschlag eines erinnerungskulturerschließenden Musikunterrichts skizziert, der musikalisches Lernen immer auch als Konstruieren von (Musik-)Kultur auffasst und damit Musik als didaktisch anschauliches Medium zur Vermittlung (musik-)kultureller Gedächtnisbildung und -reflexion für Kinder und Jugendliche ansieht.
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